Briefe an meinen verstorbenen Opa (Brief 1): Warum bin ich geblieben?

Seit Kurzem schreibe ich nicht mehr nur Briefe an meinen vor fast 9 Jahren verstorbenen Vater, sondern auch am meinen mittlerweile leider verstorbenen Opa, den ich als seine pflegende Angehörige noch mal ganz neu kennelernen durfte. Einige dieser Briefe möchte ich hier auf meinem Blog mit euch teilen. Dies ist der erste Brief. Schreiben ist seit Langem ein ganz wichtiger Teil meiner Selbstfürsorge.

Lieber Opa,

ich bin geblieben. Trotz allem.

Warum? Vielleicht weil Omas letzte Worte „Kümmert euch um Opa!“ waren.

Aber das allein war es nicht. Du hattest keine Demenzdiagnose, aber aufgrund des Alkoholkonsums war eine Korsakow-Demenz nicht auszuschließen.

Wenn ich erzähle, dass ich geblieben bin und wie alles war, versteht mich nicht einmal ein Therapeut.

Ich denke ich weiß warum: Du warst zerbrechlich und brauchtest mich. Niemand sollte im Alter allein sein müssen!

Reden konntest du über vieles nicht und ertränktest deinen Schmerz im Alkohol. Ich war einfach da.

Ließ mich von dir beschimpfen, ohne es zu sehr an mich ranzulassen. Das hatte ich seit meiner Kindheit üben müssen. Bedingungslose Wertschätzung habe ich im Kontakt mit dir früh üben dürfen. Sie war mein Schutz.

Danke zu sagen fiel dir schwer, umso mehr freute ich mich über ein ehrlich gemeintes Danke.

So oft bedanktest du dich bei mir für das Brot,  das ich im Supermarkt gefunden hatte. Es war genau richtig. Nicht zu hart und nicht zu weich. Regelmäßig fingst du an zu schwärmen.

Warum bin ich geblieben?

Es gab nicht nur einen Grund.

Es war kompliziert, oder vielleicht doch ganz einfach.

Du warst ein letztes Stück Kindheit.

Wir hatten nie ein wirklich gutes Verhältnis. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, wir kannten uns bis zu Omas Tod nicht.

Ja, vielleicht bin ich geblieben, um meinen Opa kennenzulernen.

Nicht bewusst, aber ja, das war es, was ich in oder wir in meiner Zeit als deine pflegende Angehörige taten. Wir lernten uns kennen.

Es war nicht einfach, aber wir fanden einen Weg zueinander.

Ich lernte deine Lieblingslebensmittel auswendig und konnte bald ohne Einkaufsliste einkaufen gehen.

Deine Griesgrämigkeit verunsicherte mich von Tag zu Tag weniger und ich lernte dich, meinen griesgrämigen Opa, doch noch lieben.

Der Krieg hatte bei dir seine Spuren hinterlassen. Ich wünschte du hättest mehr reden können und wir hätten mehr Zeit gehabt. Das ist vielleicht ein Thema für einen nächsten Brief: Was hätten wir mit dieser Zeit gemacht?

Ich vermisse dich, Opa. Und ich schreibe dir wieder.

Übrigens, dieses Buch hört sich so sehr nach dir an. Ich werde es lesen und dir davon berichten.

„Seht zu, wie ihr zurechtkommt: Abschied von der Kriegsgeneration“ von Sebastian Schoepp

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Liebe deine Enkeltochter,

Valeska

 

 

 

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